Samstag, 17. Oktober 2015

Godzilla goes Design

Liebe Schnitzelfreunde,
nachdem Godzilla mir erst letzten Oktober bei einem Gruselfood-Post geholfen und mich im Anschluss daran monatelang allmorgendlich vom Regal über der Heizung im Schlafzimmer aus angebrüllt hat, haben wir uns nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, ihn eine anspruchsvollere Aufgabe übernehmen zu lassen. Eine, die Köpfchen erfordert. Alle beteiligten Parteien wirken überaus zufrieden.


Was gelernt?
Ein Lächeln kann man überall gebrauchen.
Auch auf dem Klo.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Rotkäppchen und der böse Schlamm
Der Bad Wolf Dirt Run 2015

Liebe Schnitzelfreunde,
es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt. Eine halbe Woche lang hing ich jetzt in den Seilen. Mit diesem ich-bin-älter-als-meine-Omma-Gefühl. Weil ich mal wieder etwas getan hatte, ohne vorher groß darüber nachzudenken, was hinterher dabei rumkommen könnte. Versteht mich nicht falsch - ich bereue nichts! Es ist einfach nur sehr, sehr schön, wenn der Schmerz nachlässt...

Ich habe diese Theorie, dass sehr viele Dinge genau zum richtigen Zeitpunkt geschehen, auch wenn es erst überhaupt nicht danach aussieht. Man bucht etwas, viele Wochen im Voraus. In diesen vielen Wochen vor dem Ereignis dreht das Leben unangemeldet voll auf, nervt dich, rüttelt und zerrt an dir, du schnauzt es an, damit es endlich Ruhe gibt, aber auf dich hört ja niemand. 

Dann steht plötzlich das Ereignis vor der Tür und sagt: Tach, kann ich reinkommen? Du denkst: Oh man, nee, schon so spät? Öhm, nicht aufgeräumt, keinen Kuchen gebacken, Haare zerwühlt, viel zu wenig geschlafen, geh weg. Und öffnest trotzdem die Türe. Weil Besuch eigentlich immer zum rechten Zeitpunkt kommt. Und wenn's der richtige Besuch ist, interessiert ihn auch die Unordnung nicht die Bohne. Weil's um was anderes geht. Was Wichtigeres.

  
Aber nochmal kurz zurück zum Anfang. Manchmal packt's einen ja, so ganz unverhofft. Man folgt irgendeiner Eingebung, löst sich vom Verstand und tut einfach. Ein bisschen wie Lucky Luke, der schneller zieht als sein Schatten. Nur eben in schneller handeln als denken. Es gibt zwar diesen schönen Spruch "Erst denken, dann handeln", aber ich glaube, den darf man nicht allzu oft befolgen. Wer zu viel denkt, hält sich selbst nämlich vom Handeln ab. Und das braucht echt kein Mensch.

Wenn ich einen dieser Lucky-Luke-Momente habe, läuft das in etwa so ab:

1. Irgendwas entdecken. Plakat oder Ähnliches. Mit Werbung für Dinge und Ereignisse, mit denen nicht jeder Mensch zu tun hat. Oder eventuell haben möchte.
2. Augen aufreißen, Herzklopfen bekommen, Habenwollen! Gah.
3. Völlig überstürzt Ticket kaufen, egal wie teuer. Na gut, fast.
4. Unschuldige Mitmenschen mit in die Chose reinziehen und gegen ihren Willen ins Unglück stürzen. Heimlich denken, die wollen das.
5. Innehalten. Bewusstwerden. Konsequenzen, Nachtigall und Konsorten trappsen hören. Ouh. Natürlich ist es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät für eventuelles Zurückrudern.
6. Auf die Unterlippe beißen. Grinsen.
7. "Scheiße..." (Diese Phase ist sehr kurz.)
8. "Egal, ich zieh das jetzt durch!" (Diese Phase ist sehr schön.)

Joah. Genau so lief das letztens mit dem Bad Wolf Dirt Run ab. Auf irgendeinem dieser zahlreichen Food Truck Festivals in Frankfurt hing so ein unschuldiges kleines Plakat und lockte mit Schlamm, Schweiß und Schinkenkeule in einem Kaff in Nordhessen. Den drei Dingen, denen keine Frau widerstehen kann. Zumindest in meiner Welt.



Ich mach mir wirklich immer mal wieder wahnsinnig gerne die Finger schmutzig. Liebend gerne auch den ganzen Rest gleich mit. Das hat sich sogar schon auf der Arbeit rumgesprochen. Ihr erinnert euch. Da, wo die Leute in schnieken Anzügen herumlaufen. Aber eben auch da, wo nicht alles und jeder, der in so einem schnieken Anzug drinsteckt, vom Wesen her unbedingt genauso schnieke sein muss. Wie überall eben. Manch einer verkleidet sich halt auch nur. Erwachsensein spielen. Die leichten Berührungsängste allerdings bleiben: "Wann ist das da mit deinem... Matsch-Event nochmal?" 

Von sowas muss man sich nicht immer gleich abschrecken lassen, dachte ich mir. Zwei ganze Tage lang hatte ich daher sogar versucht, ein Büro-Team zusammenzustellen. Gut. Sagen wir, es war ein völlig aussichtsloses Unterfangen und belassen es dabei. Beknackte Idee. Und das, obwohl es nur um die Rotkäppchenrunde gehen sollte. 


Der Bad Wolf Dirt Run ist einer dieser "Tough Mudder". Man kauft ein Ticket, um mit fremden Menschen durch ein Truppenübungsgebiet zu hecheln, Unmengen an Hindernissen zu überwinden und sich von oben bis unten komplett einzusauen. Entweder 9km lang - in der Rotkäppchendistanz - oder halsbrecherische 18km lang - in der Böser-Wolf-Distanz. Das wäre die Kurzfassung. Wird dem Ganzen nur nicht gerecht. Da diese Dirt Runs aber nicht mehr wirklich neu sind, erspare ich euch an dieser Stelle mal eine ausschweifende Erklärung und gehe niemandem auf den Senkel, sondern lieber gleich ans Eingemachte. Mitten rein in den Matsch also. Erzählmodus ein.

Nach vielen Minuten in der Anmeldeschlange halten mein Bruder und ich endlich unsere Goodie Bags in Händen. Braune Packpapiertüten gefüllt mit den nötigen Teilnahmeunterlagen. Das schicke T-Shirt streifen wir über, das Armband legen wir an und die Isla-Moos-Halstabletten beäugen wir ratlos. Pulmoll gibt's auch. Die denken also jetzt schon, dass wir gleich krank werden? Pöh. Woll'n wir doch mal sehen!

An der Backsteinwand links hängt ein Banner, darauf steht "Männerspielplatz", das passt. Ich fühl mich gut. Gabelstapler manövrieren Dixie-Klos durch die Menschenmenge, überall stehen Jeeps mit Allradantrieb, und die Leute hinter uns geben sich als Marathonläufer zu erkennen. Gesprächsthema: verhärtete Waden. Kurz bevor ich denke, doch nicht ganz hierher zu gehören, entdecke ich einen Mann mit einem Huhn auf dem Kopf. Das beruhigt mich irgendwie. Ich weiß nur nicht genau, warum. 

  
Wir geben unsere Klamotten ab und erkunden das Gelände des Offroad-Parks. Hier und da ist Kies aufgeschüttet, zwei Bagger markieren mit ihren hochgereckten Schaufeln den Start- und Zielpunkt, eine junge Dame wandert als Rotkäppchen verkleidet durch den Schlamm und lässt sich mit Teilnehmern fotografieren, die Stimmung ist ausgelassen und angenehm familiär. Die meisten Leute sehen sportlich, aber entspannt dabei aus. Einige wenige sind im absoluten Wettkampfmodus und wirken, als hätten sie sich monatelang auf diesen Lauf vorbereitet. Sehnig, agil, etwas verbissen. Der Rest gehört in die sehr große Gruppe, die hinterher einfach nur froh ist, überhaupt heil ans Ziel zu kommen. Egal, wann. Hauptsache, Spaß gehabt und nicht unterwegs gestorben. Der Mann mit dem Huhn auf dem Kopf gehört dazu, was anderes kann mir keiner erzählen. Das Pärchen mit den auf die rechte Schulter genähten Schweinen auch. Man kann einzeln, aber auch als Team starten; außerdem gewinnt nicht nur der schnellste Läufer, sondern auch das ausgefallenste Kostüm - und so laufen ganze Scharen von Vampiren, Feuerwehrleuten und Wasserballetttänzern in Tütüs durch die Grube. Man muss Prioritäten haben und seine Stärken ausspielen.

Es ist erst der zweite Dirt Run hier im Knüllwald (ist das großartig oder was?). Da sich die Teilnehmerzahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht hat, wird zeitversetzt in Blöcken gestartet. Die Wölfe zuerst, zwei Rotkäppchengruppen danach. So soll es möglich sein, dass die schnellen Wölfe die langsamen letzten Rotkäppchen einholen. Dramatik und dergleichen. Wir wurden dem letzten Block zugeordnet, haben also Zeit. Viel Zeit. 

Es gibt ein Aufwärmprogramm. Ein bulliger Mann klettert auf einen Kiesberg und brüllt die Menge lächelnd an. Ohne mit der Wimper zu zucken gehorchen alle und hüpfen und schnaufen und üben Kampfschreie. "HUAHHH!!" Wir machen mit und dehnen unser Programm noch etwas aus - sind ja keine 20 mehr, ne? Die Halstabletten im Goodie Bag verfehlen ihre Wirkung also nicht. Blöde erhobene Zeigefinger, manman.




Kurz vorm Startschuss: mein Bruder und ich stellen uns ins erste Drittel, weil wir nicht zum Spaß hier sind. Nur so'n bisschen. Ich will nicht sagen, dass mir der Arsch auf Grundeis geht, aber als der Radiomoderator das Rote Kreuz mit den Worten "auf den ersten 200 Metern hat's jemanden zerrissen" herbeilotst, sehe ich an mir herunter und überlege angestrengt, ob Fußballschuhe wohl die richtige Wahl waren? Na ja, zu spät. 

Gemeinsam zählen wir von 10 runter, der Startschuss ertönt, es geht los. Erste Kurve: gleich mal eine Pfütze so groß wie sechs Planschbecken. Elegant tänzel ich an deren linkem Rand entlang, bis der Mann gleich hinter mir mit einem Freudenschrei mittenrein springt und mir die braune Suppe in den Rücken spritzt. Naaa gut. War eh blöd von mir, zu denken, man könne hier lange sauber bleiben, ne? Danke. Als nächstes wird der Untergrund seltsam hartnäckig und zäh. Links und rechts von mir bleiben Leute stecken oder verlieren sogar ihre Schuhe. Ich habe Glück und tippsel behende durch diese fiese Falle. Dann geht es gefühlte 500m nur noch bergauf. Im Laufschritt. Mein Bruder sieht mich an. Wollen die uns umbringen? Ich glaube schon, ja. Es geht steil bergab, sehr, sehr steil. Ganz unten steht eine Frau und ruft fröhlich: "Keine Angst! Das tut nur EINmal weh." Das ist als Aufmunterung gemeint. Sie findet das lustig. Ich auch. Hervorragend.

Es läuft ganz gut. Wir fühlen uns fit. Meine Herren, sind wir fit! Guck doch mal, wie fit wir sind! Hätten wir doch nur die 18km gebucht, wa? Ein erster ernüchternder Tiefpunkt ist allerdings bald erreicht, als wir uns einig sind, bestimmt schon über die Hälfte der Strecke geschafft zu haben und dann 500m weiter ein Schild an einem Baum unbarmherzig "3km" anzeigt. WAS?! Drei? Oh Gott...


Das Ding aus dem Sumpf

Danach läuft es aber. Wir klettern über Baumstämme, waten geduldig durch Wasserlöcher, hieven unsere Popos über senkrecht angebrachte Netze und schieben uns gegenseitig diverse lehmverschmierte Anstiege hinauf. Der Matsch sammelt sich in den Schuhen, die mit jedem Schritt schwerer werden. Zwischen Schuhsohle und Fußsohle passen immerhin 4cm dicke Lehmklumpen. Pfützen werden zu Freunden. Immer öfter patschen wir einfach mittendurch, is jetzt eh wurscht, guck doch mal, wie wir aussehen. Genau, guck dich doch mal an! Dreckschwein. Ein gutes Gefühl, nicht mehr auf Äußeres zu achten. Achten zu können, achten zu wollen. Ich stehe mit einer Frau an einem Schlammloch. Wir gucken uns an. Grinsen. Obwohl drumherum genug Platz wäre, stürmen wir beide entschlossen mittendurch. "Dafür sind wir doch hier!" sagt sie. Recht hatse. Das ist wie mit dem Leben - ganz rein ist die bessere Option. Ich bin ein verkrusteter Glückskeks in Fußballschuhen.

An zwei Ständen auf der Strecke werden isotonische Getränke angeboten. Auch halbe Bananen und Power-Riegel für Bodybuilder, was ich auf einmal als total angebracht empfinde. Wir waschen uns vorher die Hände. In einem Bottich voller Matschwasser. 'Sauber' wird mittlerweile längst anders definiert.

Das ist dann doch eher 'dreckig' 

Kilometer 6 ist erreicht. Zwei Drittel. Irgendwann danach tauchen die "richtigen" Truppenübungsplatz-Stationen auf. Die, die man aus dem Fernsehen kennt: Mädels, rückt eure Käppchen zurecht. Jetzt wird ernsthaft über den Lehmboden gerobbt, der wie poliert wirkt, weil schon mehrere Dutzend Leiber darübergeschoben wurden. Auf die Knie! Dann ein Wasserloch, leider diesmal abgedeckt, also Ärmel hoch und eintauchen. Nee, is dat schön. Danach sehen wir aus, als hätte man uns mit den Füßen voran in einen überdimensionierten Kessel voll feinster Milchschokolade getunkt. Dann die obligatorischen Autoreifen. Links, rechts, links, rechts, hop, hop, hop, durch Betonrohre krabbeln und über Rampen springen.

Ganz ehrlich? Den allerletzten Kilometer habe ich im Autopilot überstanden. Irgendwann bin ich über den letzten Hügel gekrabbelt, sah die Zielkurve und blieb einfach mal mittendrin stehen. Ich hatte meinen Bruder verloren. Tjoah. Mein Körper war erschöpft und mitbekommen habe ich eh nichts mehr. Da stand ich also und wartete. Mich lachte diese Riesenpfütze an, die aus der allerersten Kurve, die jetzt die letzte war. Ich nahm kurz Anlauf und hopste mit Schmackes mittenrein. Bisschen Zeit vertreiben. Plötzlich dröhnt es durch die Grube: "Nein, nicht da reinhüpfen!" 

Minuten später ging mir erst auf, dass mich der Radiomann oben auf dem Hügel beobachtet und mein seltsames Verhalten kommentiert hatte. Schließlich war das hier die Zielkurve. Alle anderen rannten erfreut unter den Baggerschaufeln durch und ließen sich feiern. Ich tobte im Matschwasser herum. 15 Meter vor der Ziellinie. Na ja. Prioritäten und so.


Auch der Herr von Radio BOB, der hinter der Ziellinie steht, merkt schnell, dass mit mir nicht mehr viel anzufangen ist. Als er mit dem Mikro auf mich zukommt und mir die Hand schüttelt, nehme ich alles wie durch Watte wahr. Man sieht es mir auch an - er fragt nichts, gratuliert nur, Händedruck kann ich noch. Ich verstehe, warum Fußballspieler nach einem anstrengenden Match nur noch mühsam ganze Sätze zusammengeschustert bekommen; man ist wie benommen. Irgendwie gaga und sehr, sehr abwesend.

Wir stellen uns bei den Vorduschen an. Draußen. Die Schlammschicht auf unseren Körpern beginnt zu trocknen. Wer jetzt den Unterarm dreht, bekommt einen Vorgeschmack auf den Zustand der eigenen Haut in ungefähr 40 Jahren. Müde und fasziniert drehe und wende ich meine Arme, starre stumm auf die vielen Falten. Das waren die längsten und besten 9km meines Lebens.


Dann ist irgendwann alles geschafft. Wir sind vor- und auch richtig geduscht und tragen saubere Klamotten, sehen wieder aus wie Menschen. Fühlen uns allerdings wie King Kong und Clark Gable in einem. Eine halbe Stunde später bricht kurz nochmal die Bestie durch. Und zwar so richtig. Mein Körper fordert plötzlich all die Kalorien ein, die in den vergangenen zwei Stunden verbrannt wurden. Das müssen ne ganze Menge gewesen sein. Ich hatte noch nie im Leben so viel Hunger! Aus dem Weg, ich muss essen!! Ich schiebe mir minutenlang wie wild alles in den Mund, was ich an Verwertbarem zu fassen bekomme - ein alkoholfreies Bier, einen halben Apfel, zwei Milchbrötchen, einen Smoothie, ich teile mir einen deftigen Salat mit meinem Bruder, versenke die Zähne in einem mächtigen Burger mit Rindfleisch, später abends futtere ich noch zwei Waffeln und verdrücke die Reste von Franzoses indischem Essen. Bin von mir selbst beeindruckt. Auch ein klein wenig besorgt und in Ehrfurcht. Zu Hause schlägt die Erschöpfung in einen Energieschub um. Was soll das denn jetzt?! Nicht mal in Ruhe erschöpft sein kann man hier. Eine halbe Stunde lang springe und tanze ich zu unfassbar lauter Musik in der Küche herum, dann wird geduscht. Schon wieder. Diesmal mit warmem Wasser. Schööön. Jetzt ist die Haut dran, sie ist durstig. Drei Mal muss ich alles eincremen, bis sie Ruhe gibt, bis gut is. In mir summt es. Alles fühlt sich super an. Ich friere. Aber es ist gut.

Das Grübeln der letzten Wochen ist wie weggeblasen. Geht auch gar nicht anders. Wer so erschöpft ist, denkt nicht mehr viel nach. Irgendwann macht es Plop, und ich schnarche unverhofft weg. Muskelkater gibt's zum Glück keinen, aber ganze drei Tage, die nur irgendwie überlebt werden, mehr nicht.

Das hier? Jederzeit wieder. Vielleicht auch mal mit Huhn aufm Kopp.

Was gelernt?
Kopf erschöpft? Körper erschöpfen!
Läuft.