Montag, 20. Oktober 2014

Wanderung im Odenwald - lauf oder stirb!

Liebe Schnitzelfreunde,
die Überschrift ist heute wahnsinnig reißerisch, nicht wahr? Das soll so. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Diese Wanderung, die wir uns letzten Samstag vorgenommen und dann natürlich auch durchgezogen hatten, wird mir sicher noch etwas länger im Gedächtnis bleiben. Als eine Art Extremsportevent, der so nicht geplant war. Auch mit Blick auf meinen linken großen Zeh. Der funkelt mir nämlich noch immer fröhlich in elegantem Blau-Violett entgegen. 

Ich besuche zur Zeit meine Eltern. Als meine Mutter gestern den Zeh erblickte, rief sie entsetzt: "Mein Gott, das sieht ja schlimm aus! Ist dir da was Schweres draufgefallen?" Vermutlich klang meine Antwort recht dämlich: "Ach so, nö, wir waren nur ein bisschen wandern." "Aha...?" ("Nicht einmal normal geradeaus laufen kann das Kind.")


Am Donnerstagabend saßen mein Franzose und ich also am PC. Lieber Herr Google, 'Wandern rund um Frankfurt' bitte einmal. Klingt harmlos, sollte es auch sein. Wir landeten auf dem Wanderportal Rhein-Main und entschieden uns relativ schnell für diese Route, weil sie als wunderbar abwechslungsreich angepriesen wurde. Vier Stunden lang im Kreis laufen, bisschen Hoch, bisschen Runter, das sollte doch zu machen sein. Vorderer Odenwald, wir kommen!


Samstagmorgen, Blick aus dem Fenster: es regnet. Und das in Strömen. "Franzose, es regnet ganz stark." "Wir gehen wandern." Diskussion beendet. Das kommt dabei rum, wenn man sich darüber beschwert, dass man viel zu wenig unternimmt. Schitte. Der Rucksack wurde geschnürt, festes Schuhwerk angeschnallt, Bütterchen geschmiert, Regenschirme verstaut, zum Glück eine Landkarte eingepackt (wasserfest!), und dann stapften wir zur Bahnhaltestelle. Wir erwarben ein Hessenticket. So eins kostet 30 €, gilt einen ganzen Tag lang und kann von bis zu fünf Personen gleichzeitig genutzt werden. Keine schlechte Sache. Während der Fahrt beruhigte sich das Wetter und ich mich mit ihm.

Pünktlich zum Ausstieg in Bensheim-Jugenheim brachen die Wolken dann wieder auf und ihr Inhalt ergoss sich über unsere Häupter. Es war ein bisschen so, als hätte jemand beschlossen, ein gigantisches Straußenei über der von uns ausgewählten Region zu köpfen. Klatsch. Hähähä. Na gut. Das Ticket war bezahlt, wir waren an einem Samstagmorgen um 7 Uhr aufgestanden und wir würden jetzt verdammt nochmal wandern gehen, die schöne Landschaft genießen, jesunde Luft durch unsere Lungen jagen und tolle Fotos schießen! Es sollten ja auch nur vier Stunden werden. Da wäre doch noch der halbe Tag zum Ausruhen da. Und, ach, das bisschen Regen. Wandern bei Sonnenschein kann ja jeder!


Tja. Was soll ich sagen. Wir fotografieren gerne. Die erste Stunde vertrödelten wir vorm, im und um das Fürstenlager herum, das cirka 300m von der Bahnhaltestelle entfernt liegt. Abwechselnd wurde ein Regenschirm schützend über die Kamera des Partners gehalten, Steine, Schnecken, Mauern, Regentropfen in monströsen Spinnweben und aufsteigender Nebel über Nadelgehölz dokumentiert. Ein Schild wies auf eine Grotte hin. Oh, eine Grotte! Bestimmt unfassbar toll und fotogen. Weitere 20 Minuten später hatten wir die Grotte gefunden. Abseits der Route, auf einem Berg, gut versteckt und... Reden wir nicht weiter davon. Wir liefen an Apfelbäumen vorbei, sammelten später Walnüsse und nahmen etwas Tempo auf, als die Beschilderung zum Naturdenkmal Felsenmeer auftauchte. Und immer, immer ging es bergauf. Der Nebel verdichtete sich, der Regen war mal stärker, mal weniger stark, aber wir hatten unseren Rhythmus gefunden.


Als wir am Felsenmeer ankamen, war ich wie immer etwas überwältigt von den meterhohen Steinbrocken, die dort einfach zuhauf in der Landschaft herumliegen. Was für ein Anblick! Unterm Regenschirm fingen wir an zu kichern, als sich der nächste gewaltige Regenschauer über uns ergoss. Was für'n Schietwetter. Was machten wir hier eigentlich? Wir trällerten "I'm singing in the rain" und blickten minutenlang auf den Ozean voller Gestein, der reglos in dieser trüben Nebelsuppe lag.

 

An dem dicken Baumstamm dort oben rann das Wasser in Sturzbächen hinab. Der Tag war wirklich denkbar ungeeignet für eine stundenlange Wanderung. Wir suchten uns eine Hütte, schoben uns ein Brötchen zwischen die Zähne, blickten auf die Uhr und merkten, dass die vier Stunden so gut wie um waren. Leider hatten wir erst die Hälfte der Strecke hinter uns gebracht. Huch. Sogar an der plötzlich arg reduzierten Menge an Fotos kann man erkennen, dass wir ab da einen Tick flotter unterwegs waren. Die Wegbeschreibung war und blieb schwammig - "in weitem Bogen den Melibokus umrunden" - was zu Diskussionen führte. Wie weit war weit? Wo waren wir überhaupt? Würden wir schneller sein, wenn wir den Berg direkt erklommen? Wir polterten Wege entlang, die mit glitschigem Blattwerk bedeckt waren, wir überquerten Straßen, wir liefen schon wieder bergauf, wir schlugen uns durchs Unterholz und fragten uns, ob hier überhaupt jemals jemand langgelaufen war. Und wo war überhaupt die Wegmarkierung geblieben? Weiter.

 
Die siebte Wanderstunde brach an. Meine blöde Johannisbeerschorle war alle, der linke große Zeh machte sich schmerzlich bemerkbar, die Sonne würde bald untergehen und noch immer führte der Weg bergauf. Ächz. Hier begannen wir also allen Ernstes, zu joggen. Ich rollte den Zeh im Schuh zusammen, hüpfte meinem Franzosen hinterher durchs bunte Laub und schwankte mittlerweile zwischen hysterischem Lachen, stummer Meditation und dem Gedanken, dass eine Nacht im Wald eigentlich gar nicht so übel sein könnte. Wir hatten ja noch zwei hartgekochte Eier und... Ja, das würde dann schon reichen. Die Gespräche verstummten, wir waren einfach zu erschöpft.


An einer Wegkreuzung tauchte eine Familie neben uns auf. Die sprang ich in meiner Verzweiflung fast an. Den aller-aller-kürzesten Weg zur nächsten S-Bahn-Haltestelle wollte ich bitte haben. Der Vater versuchte noch kurz, uns dazu zu überreden, den Berg weiter zu erklimmen (wir waren immer noch nicht oben?!), das würde nur noch 45 Minuten dauern. Joh, und dann nochmal genauso lang wieder runter und zur Haltestelle. Die Frau verstand, dass das einfach nicht mehr ging und schickte uns mit einer groben Richtungsangabe steil bergab mitten durch den Wald. Unsere Oberschenkel waren aus Gummi, die Blätter stoben nach allen Seiten, die letzten grellorangefarbenen Sonnenstrahlen blitzten zwischen den Baumstämmen hindurch und wir schalteten den Kopf aus und liefen und liefen und liefen. Derweil lief auch mein Zeh - und zwar unbemerkt blau an.

Im Wartehäuschen am Bahnsteig kicherten wir wie die Blöden. Jaaaa! Wir waren Superman und Superwoman! Im Zug dann nicht mehr. Die Oberschenkel brannten, der Kopf war heiß, der ganze Körper so erschöpft wie sonst nie. Alle Systeme wurden runtergefahren. Aber wir hatten es geschafft! Ihr könnt euch denken, wie unser Sonntag aussah. Wie Omma und Oppa schlichen wir durch die Wohnung, ich hielt ein Nickerchen von geschlagenen drei Stunden, wir hatten den ganzen Tag über ständig Hunger und Durst und ich war dermaßen sensibel, dass mir bei einer Musiksendung am Abend andauernd die Tränen kamen, weil "die ja alle so schön singen" konnten und ich sowieso die ganze Welt unglaublich lieb hatte. Oh weh. Traut keiner Wanderseite, die euch erzählen will, dass der Rundweg nur vier Stunden dauert, oder ihr endet am Folgetag heulend auf der Couch und versucht, die unterschiedlichen Blautöne eures großen Zehs einzustufen.

Was gelernt?
 Der pisseligste Ausflug kann sich zur Extremsituation auswachsen.
Und: irgendwie war's geil. 

 

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